Heimatliebe // Heimat lieben

Letzte Aktualisierung: 15.10.2020

Wir auf Reise hat zur Blogparade zum Thema Heimatliebe eingeladen. Heimat ist ein Thema, das mich seit mehr als zwanzig Jahren beschäftigt. Seit meiner Teenagerzeit kannten meine Freunde mich als eine Heimatlose, eine Suchende, eine Weltbürgerin ohne festen Anker.

heimat

Was ist Heimat?

Heimat. Ein Wort, dass mir nur im Deutschen, meiner ersten Muttersprache, ein bestimmtes Gefühl gibt. Heimat ist ein warmes Gefühl, es bedeutet „angekommen sein“, es verspricht „hierher zu gehören“. Heimat ist für mich nicht nur ein Ort.

Ich bin in meinem Leben 16 Mal umgezogen. Ich habe an elf Orten in vier Nationen gelebt. Ich wusste lange nicht, wo ich wirklich hin gehöre. Seit knapp zehn Jahren lebe ich in Baden-Württemberg. Hier grüßen sich die Menschen auf der Straße, hier suchen wir  pragmatische Lösungen, damit die Dinge funktionieren, hier wurde ich warm und offen empfangen. Dennoch hat es eine Weile gedauert, bis für mich und alle um mich herum klar war, dass „zu Hause“ hier ist. Dass ich hier her gehöre. Dass ich hier bleiben will.

Home is where… the maple syrup flows freely

Meine zweite Muttersprache ist Englisch. Als ich mit 16 alleine nach Kanada gezogen bin, war „home“ immer, wo meine Eltern lebten. Also Deutschland. Eine Stadt in Thüringen, in die wir vier Jahre zuvor gezogen waren. Aber wirklich verwurzelt war ich da nicht. In meinem internationalen Internat in Kanada war das ganz normal, vielen von uns ging das so. „Home?“ Meist der Ort, an dem man zuletzt gelebt hatte.

Als ich bereits fast ein halbes Jahr in Kanada lebte, kam ich das erste Mal zu Besuch zurück nach Deutschland. Ich traf eine ehemalige Schulkameradin zum Tee und sagte „Ich habe Heimweh. Ich will nach Hause.“ Sie sagte „Aber Du wohnst doch um die Ecke“. Um die Ecke wohnten meine Eltern. Aber mir fehlte Ottawa. Meine neue und bis heute zweite Heimat (Ost-)Kanada.

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Ostkanada: Ontario und Québec

Ottawa: dort, wo die Abgeordneten im Winter auf dem zugefrorenen Kanal mit Schlittschuhen zum Parlament fahren. Dort, wo ich das erste Mal frischen Ahornsirup mit einem Holzstäbchen auf dem sauberen Schnee rollte und wartete, dass der aufgerollte Sirup im Mund schmilzt. Dort, wo jeder Ausflug in die Stadt mit Timbits bei Tim Hortons oder einer riesigen, klebrigen Zimtschnecke bei Cinnabon endete.

In Ottawa muss man im Winter auf dem Ottawa Kanal Schlittschuh fahren, heiße Schokolade trinken und Beavertails essen. Zum Glück keine echten Bieber: Ein Beavertail ist Gebäck, das aussieht wie ein sehr platt gedrücktes Schokocroissant. Ich mag ihn gerne mit Zimt und Zucker und noch warm aus dem Ofen.

Eine Reise nach Ontario oder Québec ist außerdem nicht komplett ohne Poutine, das kanadische Nationalgericht (neben Mac and Cheese): Pommes Frites mit Bratensoße und Käsebruch. Es sieht nicht besonders attraktiv aus, ist aber perfektes Comfort Food, gerade wenn es draußen frisch wird. In Montréal gibt es das Restaurant La Banquise, in dem es mehr als dreißig Variationen an Poutine gibt. Ich esse fast immer die mit Tomaten und Avocado. Tausende Kalorien? Joah. Lecker? Ja! Die Warteschlange lohnt sich.

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Meine Lieblingspoutine bei La Banquise mit Avocado, Tomaten und Crème Fraîche. Und Jean-Luc, ein echter Kanadier und Moose (kein Elch!).

Lieblingsplätze und Geheimtipps

In Ottawa habe ich viele Lieblingsplätze. Einer ist an der ewigen Flamme vor dem kanadischen Parlament. Einer ist das Internat, in dem ich drei Jahre lebte. Einer ist der Rockcliffe Park Pavillion mit Blick auf den Ottawa Kanal, der die Grenze zwischen Ontario auf dieser Seite und Québec auf der gegenüber liegenden Seite bildet. Außerdem hat mich hier meine erste große Liebe das erste Mal geküsst. Und – na klar – einer ist das Senators Stadion. Ein Leben ohne Eishockey ist immerhin möglich, aber nicht unbedingt nötig. (An der Stelle gleich der Tipp: „Never date a hockey player, they will lose all of their teeth“.)

Mein persönlicher Geheimtipp ist Zak’s Diner im Byward Market. Hier gibt es die besten Milchshakes, bei denen wir uns früher die jungen Mädchenherzen gegenseitig ausgeschüttet haben. Wirklich geheim ist der Tipp allerdings nicht.

Diese Sorte Tulpen wurde extra zum 150. Jahrestag 2017 gezüchtet.

Diese Sorte Tulpen wurde extra zum 150. Jahrestag 2017 gezüchtet.

Ottawa Tulip Festival

Meine Lieblingsveranstaltung ist das Tulip Festival. Das findet im Mai statt, wenn in Ottawa mehr als eine Million Tulpen blühen. Zehntausend davon schenkt die Königliche Familie der Niederlande Kanada jedes Jahr. Das ist bis heute Dank dafür, dass Kanada Prinzessin Juliana im Zweiten Weltkrieg aufnahm, nachdem die Nazis die Niederlande besetzten. Prinzessin Julianas Tochter Prinzessin Margriet wurde in Ottawa geboren. Da eine doppelte Staatsbürgerschaft sie aus der Thronfolge ausgeschlossen hätte, wurde die Entbindungsstation extraterritorial erklärt. So wurde sie aufgrund der niederländischen Staatsbürgerschaft ihrer Mutter ebenfalls Niederländerin, aber eben keine Kanadierin. Für mich bedeuten Tulpen bis heute Frühling und die Hoffnung, dass das Grau des Winters bald durch viele bunte Blumen ersetzt wird.

Meine Lieblingsjahreszeit: Indian Summer

Meine liebste Jahreszeit in Ontario und Québec ist der Indian Summer. Das mag einerseits daran liegen, dass die Schule in Ontario immer im September begann. Wahrscheinlicher ist aber, dass es daran liegt, dass die Blätterfärbung einfach wunderschön ist und deutlich länger anhält als in Deutschland. Danach hat der Winter die Provinz bei bis zu minus 40°C bis März und manchmal April fest im Griff. Aber auch das ist nicht schlimm, denn anders als der deutsche Winter ist es zwar extrem kalt, aber trocken. Heißt: Das Gesicht friert zwar ein bisschen ein, dafür zieht nicht alles gleich unter die Haut und in die Knochen.

Heimat ist ein Gefühl

Wenn ich an Kanada denke, habe ich unglaublich viele positive Erinnerungen. Wenn ich an den Rems-Murr-Kreis, meinen Blick auf die Weinberge, das großartige Essen und die warmherzigen Menschen denke, weiß ich, dass ich angekommen bin.

Ich habe riesiges Glück, nicht nur einen einzigen Ort Heimat nennen zu können. Und irgendwie ist Heimat ja auch, wo man verstanden wird – oder neumodisch: der Ort, an dem sich das WLAN automatisch verbindet.

5 Gedanken zu “Heimatliebe // Heimat lieben

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